Tage wie diese ...

Heute war ein Tag mit vielen "ersten Malen". Der eifrige Leser weiß, dass wir zwei "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" zu unserer Familie zählen. Heute war deren letzter Ferientag und wir hatten große Pläne...

... ab und an gehen wir mit einem befreundeten Papa und seiner kleinen Tochter bowlen. Natürlich kommen auch meine Jungs mit. Für unseren Neuankömmling war es das erste Mal heute. Er hat sich auch gar nicht mal so dumm angestellt ... lag immer im guten Mittelfeld (liegt daran, dass der Waupapa auch eher untalentiert ist) und ... ja was soll ich sagen ... -> Wir hatten viel Spaß.

Außerdem stand noch etwas anderes auf dem Tagesplan: ... ich gehe mit unserer Mini ab und an schwimmen, bin aber nie auf die Idee gekommen, die Jungs auch nur zu fragen, ob sie mitkommen wollen. Zum einen gehen wir oft vormittags in der Woche, dann sind die beiden für gewöhnlich in der Schule, zum anderen bin ich irgendwie davon ausgegangen, dass dieses Event einem Kulturschock gleichen würde. Irgendwann haben die Jungs zu meinem Erstaunen gebeten uns zu begleiten ... gesagt, getan, der Kulturschock blieb aus, wir haben die Rutsche ausführlich getestet, alle waren nach 1,5 Stunden (länger geht auch nicht, wegen der Mini, die dann irgendwann einfach einpennt) mega platt. Mir bleib auch einmal das Herz stehen, als der Junge, der mir vorher sagte, er könne nicht richtig schwimmen auf einmal vom Turm sprang, aber alle haben es aus dem Wasser geschafft. Die Belehrung fürs nächste Mal gab es im Anschluss und wir haben uns zufrieden auf den Heimweg gemacht.

Im Auto hören wir gerade noch, wie die deutsche Nationalelf im Handball gegen Spanien gewinnt und somit Europameister ist, wir feiern das mit einem Eis beim "goldenen M" (übrigens auch das erste Mal, dass meine Jungs durch einen DRIVE IN Schalter fahren). Wir sind alle müde von dem ereignisreichen Tag, doch die Stimmung ist ausgelassen - bis auf die Mini, die ist völlig platt und schnarcht vor sich hin. Ein unheimlich guter Tag, bis ich Facebook öffne. Denn dort springt es mir aus jedem zweiten Post ins Gesicht ... irgendwas ist passiert in Damaskus, der Heimatstadt meines Pflegesohnes. Da wir hier beschlossen haben nichts zu verheimlichen und ich auch wissen will, wie es seiner Familie geht, frage ich nach ... er weiß natürlich, gerade das Haus betreten, genau wie ich ... NICHTS.

... google sagt, es sind 60 Menschen bei einem Anschlag des IS gestorben, 100 verletzt ... irgendwo in Damaskus. Er erreicht natürlich niemanden, das Netz ist zusammengebrochen ... und dann gehen sie los, die bangen Minuten ... ich mache mir Sorgen um eine Familie, die ich nie persönlich kennengelernt habe, mit der mich im Grunde nichts verbindet, außer dieser gemeinsame Sohn.

In meiner Hilflosigkeit habe ich einfach angefangen den Geschirrspüler auszuräumen. Ich glaube, damit mache ich ihn wahnsinnig, damit ihn anzustarren auch ... Er tut mir so Leid ... ich stelle es mir schrecklich vor, jetzt so weit weg zu sein von seinen Lieben. Helfen kann ich ihm leider in diesem Moment nicht. Ich fühle mich völlig hilflos.

Und wie lapidar kommen mir auf einmal die Probleme vor, die ich hier mit ihnen täglich diskutiere ... Schule, Ordnung im Haushalt, ... die Probleme, die diese Jungs wirklich täglich beschäftigen sind ganz andere.

 

Irgendwann dann der erlösende Anruf der Mama, die ich so bewundere für den guten Job, den sie an ihrem Sohn vollbracht hat. Der Mama, die mir gelernt hat, was in arabisch heißt "Ich bin die Mama von Mini und ihrem Sohn und ...". Es geht ihr gut, die Familie ist auch OK ... doch was ist mit Hadi, seinem besten Freund? ... von dem wir so viel gehört haben. Sie will versuchen ihn zu erreichen. Weitere 5 Minuten später ruft sie zurück, auch er ist OK, aber es sind zwei andere Jungs aus dem Freundes- und Bekanntenkreis ums Leben gekommen. Ich bin ehrlich, kurz bin ich erleichtert. Dann fühle ich mich schlecht, dass ich erleichtert war, denn ich kenne keinen der Beteiligten persönlich, wieso kümmern mich die einen also mehr und die anderen weniger. Das ist nicht recht und nicht das erste Mal frage ich mich nun, wie ich es aushalte täglich Nachrichten zu sehen und so sehr abstumpfe, dass es mich tatsächlich nicht mehr berührt. Wir hier einfach so weiterleben, als wäre nichts gewesen, nach Paris, nach Beirut, nach Istanbul, nach Damaskus, ... was ist denn nur los? "Der Tag hatte so schön begonnen" ... auch ein egoistischer Gedanke ...

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